Der jüdische Friedhof

WERNER SUZGRUBER

Ein jüdischer Friedhof weist im Vergleich zu christlichen Begräbnisorten viele Besonderheiten auf. Er ist ein „Haus der Ewigkeit“, ein „guter Ort“. Ein jüdisches Grab ist für die Ewigkeit gedacht, es wird niemals aufgelöst und nicht neu belegt. Der gesetzte Grabstein bleibt bestehen. Sollte Platzmangel entstehen, dann wird eine Schichte Erde aufgetragen, sodass eine Bestattung übereinander realisierbar ist.

Wie wird ein jüdischer Friedhof bezeichnet?

  • Ort/Haus des Lebens – Bet ha-chajim
  • Haus des Friedens – Bet Haschalom
  • Haus der Gräber – Bet Kwarot
  • Haus der Ewigkeit – Bet ha-olam

Warum dürfen jüdische Friedhöfe und Gräber nicht aufgelöst werden?

Ein jüdischer Friedhof und seine Grabstellen müssen deshalb für immer bestehen, weil ein Friedhof im jüdischen Glauben kein Ort des Todes, sondern ein „Haus des Lebens“, des ewigen Lebens ist. Dort wartet der Verstorbene gleichsam auf das Jüngste Gericht, um zu neuem Leben aufzuerstehen. Die ihn umgebende Erde ist Eigentum des Toten und muss unangetastet bleiben.

Warum lagen jüdische Friedhöfe außerhalb der Städte?

Der Friedhof stellt in der jüdischen Gemeinde einen wichtigen Ort dar. Er wird außerhalb des Siedlungsraums angelegt, da er als unrein gilt. Die Lebenden sollten sich mit den Toten nicht „an einem Ort aufhalten“. Im Gegensatz zu den christlichen Begräbnisstätten, die im Mittelalter direkt an die Kirchen grenzten und um sie herum angelegt waren, befanden sich jüdische Friedhöfe weit entfernt von Synagogen und Wohnräumen. In der Neustadt lag der mittelalterliche „Judenfriedhof“ außerhalb der Stadtmauern auf einer Wiesenfläche im Süden. In manchen deutschen Städten waren die jüdischen Friedhöfe an Orten angelegt, die von den christlichen Zeitgenossen gemieden wurden (wie z. B. nahe einer Hinrichtungsstätte, wie im Falle von Göttingen). Im 19. Jahrhundert wurde es den jüdischen Gemeinden keineswegs einfach gemacht, überhaupt Friedhöfe für ihre Toten anzulegen. Oft wurden Flächen, die landwirtschaftlich nicht zu nützen waren, abgegeben bzw. an jüdische Gemeinden verkauft. Der bestehende und wachsende Antisemitismus spielte hier gewiss eine Rolle. Durch das Anwachsen der Städte wurden jüdische Friedhöfe mit der Zeit in das Siedlungs- und Wohngebiet integriert.

Warum zieren keine Blumen die Gräber eines jüdischen Friedhofs?

Es ist jüdische Tradition, kleine Steine auf die Grabstelle zu legen. Steine symbolisieren unter anderem Beständigkeit und Unvergänglichkeit. Grundsätzlich sollen keine gärenden, säurehältigen und die Zersetzung fördernden Stoffe auf einen Friedhof kommen. Dennoch lässt man Efeu auf den Friedhöfen wachsen, solange sie nicht die Inschriften eines Grabsteins zerstören. Es gibt zahllose Erklärungen für den Umstand, dass kleine Steine auf die Grabstelle bzw. den Grabstein gelegt werden. Die Erklärungen reichen von Motiven des Schutzes des Toten bis hin zu Zeichen der Anteilnahme.
  • Brauch der Nomaden
  • Schutz des Toten vor wilden Tieren
  • Zeichen des Grabbesuchs
  • Zeichen des Weiterbauens am Lebenswerk des Verstorbenen
  • Ausdruck des Schmerzes
Die Grabstellen werden nicht mit Kränzen oder Blumen geschmückt, sondern es finden sich Bodendecker oder Kiesel auf den Grabflächen.

Gibt es besondere Grabplätze?

Betrachtet man den Aufbau von jüdischen Friedhöfen, so finden sich bestimmte Personengruppen an gewissen Orten. So gibt es beispielsweise gesonderte Liegeflächen für Kinder und ehrenvolle Persönlichkeiten. Rabbiner und Cohanim (Nachfahren der Priester) erhalten Grabstellen nahe dem Zugang, direkt an Hauptzugangswegen. Selbstmörder und Personen mit „schlechtem Ruf“ fanden ihre letzte Ruhe bisweilen abgesondert. Kinder, das heißt auch Totgeborene und Kleinkinder, wurden an einem spezifischen Ort des Friedhofs begraben. Jüdische Friedhöfe sind in Reihen belegt. Verstorbene werden gerne chronologisch der Reihe nach bestattet. Doch dies trifft nicht auf alle Friedhöfe zu, so auch nicht auf Wiener Neustadt. Im Mittelalter war in unserem Kulturkreis eine Bestattung nicht in Reihen, sondern in Gruppen üblich, sodass Familienmitglieder nahe beieinander lagen.

Wie verhält man sich beim Betreten und Verlassen des Friedhofs?

Am Schabbat darf der Friedhof nicht betreten werden und demnach ebenso keine Bestattung oder Arbeit auf dem Gelände erfolgen. Ein Friedhof ist ein Ort der Ruhe und die muss sich auch im Verhalten des Besuchers zeigen. Essen darf nicht verzehrt, Tiere dürfen nicht mitgeführt werden. Für Männer besteht die Pflicht, auf dem Friedhof eine Kopfbedeckung zu tragen. Nach einem Besuch wäscht man sich die Hände, da Nähe zu Toten Unreinheit bedeutet.

Warum wurden Gräber übereinander angelegt?

Im Laufe der Geschichte kam es dazu, dass Gräber aus mangelnden Platzverhältnissen nicht mehr nebeneinander angelegt werden konnten, gleichzeitig aber der Erwerb neuer Flächen nicht möglich war. So entschied man sich, die Beerdigung der Toten – allerdings mit einem vorgeschriebenen Mindestabstand (6 Fuß, 1,90 Meter) – übereinander zu bestatten. Ein bekanntes Beispiel für diese Form der Bestattung ist der jüdische Friedhof in Prag. Auch andernorts findet man viele Friedhöfe, auf denen die Grabsteine dicht gedrängt angeordnet sind, um den vorhandenen Raum möglichst auszunützen.

Wie werden Tote in den Gräbern bestattet?

Gräber werden so angelegt, dass das Fußende in Richtung Jerusalem weist, also der Bestattete in diese Richtung liegt. Gewöhnlich ist dies in unseren Breiten der Osten oder Südosten. Am Tag des Jüngsten Gerichts kann der Tote, so die Anschauung, sich erheben und gegen Osten, Jerusalem, wandeln. Grabsteine werden meist, aber keineswegs immer am Kopfende – „zu Häupten“ des Bestatteten – gesetzt. Seit dem 18. Jahrhundert wurde die Tradition der Ausrichtung nach Jerusalem nicht mehr streng eingehalten.

Grabsteine

Die zum Gedenken an die Toten gesetzten Grabsteine sollten an sich keine Unterschiede aufweisen, da dem jüdischen Glauben nach im Tode alle Menschen gleich sind. Im 18. Jahrhundert und mit der Assimilation jüdischer Bürger und Bürgerinnen kam es sukzessive zur Errichtung von unterschiedlich ausgeführten Grabsteinen. Grabsteine hoben sich nun durch eine auffälligere Gestaltung der Inschrift, der Steinform und/oder Zierelemente voneinander sichtbar ab. Prunkvolle Grabstätten und Monumentalgräber hielten Einzug in das Bild des Friedhofs. Grabsteine waren über lange Zeit aus Sandstein. Das relativ weiche Steinmaterial ließ die Anbringung von Schriftzügen einfacher zu. Später, ab dem 19. Jahrhundert, fanden härtere Steinmaterialien Verwendung, zum Beispiel Granit und Marmor.

Bestattung

Die Bestattung eines Verstorbenen soll möglichst rasch erfolgen, am besten noch am Todestag. Die „Chewra Kadischa“, die sogenannte Beerdigungsbruderschaft, erfüllte die notwendigen Aufgaben der Reinigung, der Vorbereitung des Leichnams (z. B. Einkleidung mit einem weißen Totengewand aus Leinen), der Totenwache, der Organisation des Begräbnisses und der Trauerfeier. Der in einem schlichten Holzsarg Gebettete wird zu seinem Grab getragen, der Rabbiner spricht die „Leichenrede“, die Familienangehörigen und Trauergäste sprechen drei Gebete. Dann wird das Grab mit Erde geschlossen und das Kaddisch (Gebet zum Gedächtnis an den Toten) gebetet.

Grabsteinformen

Grundsätzlich waren die Grabsteine eines Friedhofs nahezu gleich und schlicht in ihrer Ausführung. Sie wiesen die Form eines Rechtecks auf, konnten einen halbrunden Abschluss und einen Rahmen in unterschiedlicher Breite zeigen, welcher sich durch die Größe des Inschriften-Feldes im Zentrum des Steines ergab. Der Fußteil blieb unbearbeitet und wurde (häufig rund einen halben Meter) in die Erde eingelassen.
Halbkreisform: Vermutlich sollte die Halbkreisform eine Art der „Abbildung des Himmelszelts“ sein. Im Halbkreis wurden manchmal Darstellungen verewigt, wie zum Beispiel Symbole, während in der breiteren Steinmitte die Inschriften gesetzt wurden. Der klassischen Halbkreisform folgten viele unterschiedliche Spielformen des Grabsteinabschlusses:
  • Spitzbogen
  • Korbbogen
  • Konvexbogen
  • etc.
Viele Grabsteine werden entsprechend einem Hausdach spitz zulaufend realisiert. Ebenso sind einem Turm oder einer Krone ähnliche Abschlüsse, aber auch einfach horizontal, flach abschließende Formen zu finden.

Symbolik

In der Neuzeit begann man in der Gestaltung von Grabsteinen über die Schriftkunst hinauszugehen und verewigte erstmals auch Symbole, die auf das Geschlecht, den Charakter oder den Beruf des Verstorbenen hinwiesen. Auf Friedhöfen des 19. und 20. Jahrhunderts, keinesfalls aber früher, finden sich mitunter die Darstellung von Menschen, Engelsfiguren oder anderen Abbildern, trotz des biblischen Bilderverbots.

Einige Symbole im Überblick:

Symbol Bedeutung & Hinweis
Menora (siebenarmiger Leuchter) Fortleben der Seele
eines der ältesten Symbole auf Grabsteinen
Zeichen des Volkes Israel
Segnende Hände der Cohanim (Priester) Herkunft des Bestatteten von den Cohanim, also der Priesterschaft (Priestersegen im Tempel zu Jerusalem)
Krug (Kanne) und Becken (Schale) der Leviten Herkunft des Bestatteten von den Leviten, also den Helfern der Priester (beim Waschen der Hände)
Davidstern (Magen David) Ornament aus ältester Zeit
Wappen der Prager jüdischen Gemeinde
Symbol für das Judentum an sich
Krone Gnade und Barmherzigkeit des Bestatteten
Ehre, Ruhm und Freude
Tiere (Hirsch, Löwe,…) Name des/der Bestatteten
z. B. Nachname „Hirsch“
Florales (Rosenblüte, Blumenmuster,…) weibliche Bestattete Zierelement
Tränenbaum – Träneneiche Baum des Lebens
Baum der Erkenntnis
Schmetterling, Sanduhr Un-/Vergänglichkeit
Gebrochene Rose – umgeknickter Baum in jungen Jahren Verstorbene/r
aus dem Leben gerissener Mensch
Weintraube Gelehrter
Buch Von Gott geschrieben


Einige Symbole im Detail, die für Wiener Neustadt relevant sind:

Priesterhände:

Das Symbol der Priesterhände zeigt, dass hier ein Nachkomme der Priester bestattet ist. Die beiden Hände berühren einander mit dem Daumen und Zeigefinger. Sowohl der kleine Finger und der Ringfinger als auch der Zeige- und Mittelfinger liegen jeweils geschlossen aneinander. Die Fingerpaare sind aber vom anderen und vom Daumen abgespreizt. Bei diesem Symbol handelt es sich um eine Darstellung der Hände der männlichen Familienmitglieder aus dem Geschlecht des Aaron. Nach biblischer Überlieferung waren Aaron und seine Söhne zu Priestern geweiht worden (2. Buch Mose 28 u. 29). Diese erteilen im Gottesdienst den Segen an die Gläubigen, indem sie sprechen: „Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.“ (4. Buch Mose 6, 24-27) Dieser Segen wird jeden Tag zum Morgengottesdienst gesprochen. Der Priester tritt hierbei vor den Toraschrein, lässt sich von den Leviten die Hände waschen, bedeckt sein Haupt mit dem Gebetsmantel (Tallit) und hebt seine Arme nach vorne, den Betenden entgegen.

Krug/Kanne mit Becken/Schüssel:

Das Symbol des Leviten-Krugs kann mit oder ohne Wasserbecken abgebildet sein. Teils handelt es sich deutlich um eine einfache Kanne oder einen bauchigen Krug, mitunter mit einem größeren, eher flachen Becken oder mit einer Schüssel mit etwas höherem Rand. Die Formen und Kombinationen variieren. Die Objekte sind Symbole für die Nachkommen des Stammes Levi, der Tempeldiener (4. Buch Mose 3, 5). Die Leviten hatten unter anderem die Hände des Priesters zu waschen. Dabei gossen sie Wasser aus einem Krug über seine Hände. Das Wasser wurde in einer Schüssel aufgefangen.

Davidstern:

Der Davidstern wird als Magen David bezeichnet und ist ein Grabsymbol des 20. Jahrhunderts, das sich auch als Schild Davids, Hexagramm (Sechseck) oder „Großsiegel Salomons“ deklariert findet. Das Hexagramm ist eine aus zwei gleichseitigen und ineinander verlaufenden Dreiecken bestehende Form. Es diente im Mittelalter der Abwehr des Bösen und war sowohl im Judentum als auch in anderen Religionen, wie dem Christentum und Islam, bekannt. Innerhalb der jüdischen Interpretation war der Davidstern ein Zeit-Symbol, in dem das Zentrum des Davidsterns den Schabbat und die sechs Spitzen die sechs Arbeitstage repräsentierten. Mit der Staatsgründung Israels 1948 wurde der Davidstern das nationale Emblem.

Baum:

Bäume sind häufige Symbole, denn sie werden mit dem „Lebensbaum“ assoziiert. Bäume, die eine besonders lange Lebensdauer haben (z. B. Eichen) oder hängende Äste aufweisen (z. B. Weiden), sind bevorzugte Formen, da sich damit Botschaften verdeutlichen lassen. Die Grabsteine zeigen gerne den jeweiligen Baum mit Krone, Stamm und Wurzeln. Der Baum ist Abbild des Werdens und Vergehens, Abbild der Jahreszeiten und Abbild des Lebenszyklus der Welt. Er ist mit seinen Wurzeln zwar in der Erde verhaftet, aber mit seiner Krone mit dem Himmel verbunden. In der Bibel lesen wir vom „Baum des Lebens“ und vom „Baum der Erkenntnis“ von Gut und Böse (Genesis 2, 9).

Palme, Palmzweige und Palmette:

Die Palme und ihre immergrünen Blätter sind Symbole des ewigen Lebens und der Auferstehung. Da sie auch für Frieden stehen kann, mag dies ihre Darstellung auf Grabsteinen erklären.

Inschriften

Hebräische Inschriften wurden in einem vertieften, rechteckigen Bereich des Grabsteins eingemeißelt und enthielten zumindest Namen und Todesdatum. Mit der Zeit setzte sich eine spezielle Reihenfolge durch, indem nämlich den Worten „Hier liegt begraben“ bzw. „Hier liegt geborgen“ (als Abkürzungen) und dem Lob für den bestatteten Menschen die Nennung des Namens (auch den des Vaters und – im Falle einer Frau – des Ehegatten) sowie das Todesdatum folgten. Schließlich endet der Text traditionell mit den Worten „Seine/Ihre Seele möge eingebunden sein im Bunde des Lebens“. Die jeweilige Landessprache erhielt in einer Inschrift anfangs auf der Rückseite des Grabsteins Platz und war auf den Namen und die Lebensdaten beschränkt.
Abkürzungen & Schriftzug: Bedeutung & Hinweis:
po nitman / nitmena Hier ist / liegt begraben
po tamun /temuna Hier ist geborgen
Tehi nafscho / nafschma zrura bizror ha-chajim Möge seine / ihre Seele eingebunden sein in das Bündel des Lebens.

Weiterführende Literatur:

Fleischmann, Kornelius: Der jüdische Friedhof in Baden. In: Hans Meissner u. Kornelius Fleischmann: Die Juden von Baden und ihr Friedhof. Baden: Grasl (2002), S. 117-291.
Reiss, Johannes: Hier in der heiligen jüdischen Gemeinde Eisenstadt. Die Grabinschriften des jüngeren jüdischen Friedhofes in Eisenstadt. Eisenstadt: Österreichisches Jüdisches Museum 1995.
Steines, Patricia: Totenkultur als Wegweiser. Eine Zeit zum Geborenwerden und eine Zeit zum Sterben. In: Denkmale. Jüdische Friedhöfe in Wien, Niederösterreich und Burgenland. Hg. v. Club NÖ und dem Institut für Geschichte der Juden in Österreich. Wien: Eigenverlag (2006), S. 14-27.
Wolf, Sandor: Die Entwicklung des jüdischen Grabsteines und der Denkmäler des Eisenstädter Friedhofes. In: Wachstein, Bernhard: Die Grabschriften des alten Judenfriedhofes in Eisenstadt. Wien: Holzhausen (1922), S. XIX-LXVIII.